Kleinsthäuser Weberstraße

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2.9. Kleinsthäuser Weberstraße
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Kleinsthäuser Weberstraße

Kyritz zählt zu den Städten, in denen sich noch einige dieser Kleinsthäuser erhalten haben. Diese fast ausnahmslos eingeschossigen Häuser mit einer Grundfläche von teilweise wenig über 20 bis zu 40 Quadratmetern bestanden oft nur aus einem, mitunter auch aus zwei Räumen. Diese befanden sich vor allem am Rand der Altstadt wie am Weg An der Mauer, der Mauer- oder Weberstraße und dort wohnte die sozial schwächere Bevölkerung.

 

Die sanierten Kleinsthäuser in der Weberstraße wurden 2016 als „Denkmal des Monats August“ der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“ des Landes Brandenburg und 2019 mit dem Brandenburgischen Baukulturpreis ausgezeichnet. Sie bieten heute als Ferienhäuser modernen Wohnkomfort in historischem Ambiente.

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Städte sind immer geprägt von sozialer Differenziertheit. Sowohl in der mittelalterlichen Stadt als auch in den Städten der Neuzeit und der Moderne leben unterschiedliche soziale Bevölkerungsschichten. Neben der Bürgerschaft, die als Repräsentant der Stadt galt, gab es in den früheren Städten ein Sozialgefüge, auf dessen „unterster Stufe“ die so genannte Stadtarmut stand. Diese Differenziertheit im sozialen Status findet und fand ihren baulichen Ausdruck in den Gebäuden der Stadt. Neben prachtvollen Bürgerhäusern am Marktplatz, anspruchsvollen Gebäuden in guten Stadtlagen sind bescheidene Behausungen, vorwiegend in städtischen Behausungen, vorwiegend in städtischen Randlagen, Merkmale der Stadt.

 

Meist in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Prosperität der Stadt in den letzten Jahrhunderten haben sich in vom Krieg nicht zerstörten Kleinstädten im Land Brandenburg bauliche Zeugnisse erhalten, die nicht zu den Repräsentationsbauten zählen und aufgrund der kärglichen Bauweise und der geringen Größe häufig als erstes abgerissen wurden. So sieht ein Bebauungsplan von 1894/97 eine neue Blockbebauung des Quartiers zwischen den Häusern der Weberstraße Nr. 99 bis 111 (ungerade), der fußläufigen Gasse und der Schulze-Kersten-Straße vor, die wie andere Planansätze aus dieser Zeit nicht realisiert wurde.

 

In der Altstadt von Kyritz ist auch deshalb noch eine Anzahl von kleinen, eingeschossigen Häusern, die nur über eine sehr kleine oder keine weitere Grundstücksfläche verfügen, erhalten. Man findet diese noch am Weg An der Mauer, der Mauer- und Klosterstraße sowie in der Weberstraße. Einige von ihnen sind später aufgestockt und baulich überformt worden. Die Gebäude am nördlichen Ende der Weberstraße mit den heutigen ungeraden Hausnummern von 99 – 111 haben gegenüber anderen Kleinsthäusern eine Besonderheit, da diese Häuschen unmittelbar an und unter Einbeziehung der Stadtmauer errichtet wurden.

 

Als die Wehranlagen spätestens Anfang des 18. Jahrhunderts ihre militärische Bedeutung verloren, war die Errichtung von damals als „Buden“ bezeichneten Häusern in den Städten unmittelbar an der Stadtmauer nicht ungewöhnlich. Auch in Kyritz sind weitere Standorte mit „Budenhäusern“ an der Stadtmauer belegt, beispielsweise am Siebenhäuserweg, der hinter der heutigen Kaufhalle von der Weberstraße abzweigte und etwa parallel dazu am Gebäude Nr. 8 auf die heutige Bahnhofstraße führte. Nach dem Ausbau der Bahnhofstraße – der erst 1886 erfolgte – bebaute man später das Grundstück des einmündenden Weges. Von den Gebäuden ist nichts mehr erhalten, nur im Katasterplan ist diese ehemalige Wegeverbindung noch ablesbar.

 

Die „Budenhäuser“ in der Weberstraße sind wahrscheinlich Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Stadt errichtet wurden, waren bis auf die genutzte Wand der Stadtmauer Fachwerkbauten. Da die „Buden“ auf dem ehemaligen Rundweg entlang der Stadtmauer errichtet wurden, erreichten sie in der Breite nicht einmal vier Meter und besaßen Fenster und Tür nur zur Stadtseite. Die Raumstruktur bestand nur aus Flug mit „Küche“ und einer Stube sowie einer Kellergrube.

 

Sanitäre Anlagen bestanden in den Häusern damals nicht, so dass die Entsorgung der Fäkalien in die Gosse und später in Dunggruben erfolgte. Die gesamte Wohnfläche war nur ausnahmsweise wenig größer als 30 m² und das Gebäude war gleichzeitig das Grundstück ohne jegliche Freifläche.

 

Damals hieß dieser Abschnitt der Weberstraße noch Friedhofstraße, da er auf das Gelände des ehemaligen Franziskanerklosters führte, wo um den Bereich der ehemaligen Klosterkriche früher die Mönche des Bettelordens bestattet wurden.

 

Mit Anlegen von Grundbüchern in der Stadt um 1770 ist belegt, dass die heutigen Grundstücke der Häuser 99, 101, 103, 105, 107, 109 und 111 bebaut und zu diesem Zeitpunkt bereits im privaten Besitz waren. Auffällig ist, dass als erste Eigentümerin für drei Budenhäuser eine Demoisell Dorothee Schatois, die Tochter des damaligen Bürgermeisters, genannt wird.

 

Die Akten belegen, dass später überwiegend Witwen sowie Tagelöhner – teilweise als Familien mit mehreren Kindern – in diesen Kleinsthäusern lebten. Bemerkenswert ist, dass vor allem Handwerksgesellen aus Bauberufen wie Maurer, Zimmermann, Dachdecker oder Tischler als Eigentümer und Bewohner dieser „Budenhäuser“ aufgeführt sind. Gegenüber den sogenannten Großgewerken wie Bäcker, Fleischer, Schuster oder Tuchmacher, die als angesehene Bürger in den Stadtrat und bis ins Bürgermeisteramt aufstiegen und stattliche Häuser besaßen, gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Gewerken, die diesen gesellschaftlichen Stellenwert nicht erringen konnten.

 

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Stadtmauer die Grenze der seit dem Mittelalter bestehenden Stadt und dem feldseitig tiefer liegendem Umland. Die feldseitig, nach Einebnung der Wallanlagen entstandenen Gartengrundstücke reichten bis an die Böschung der Stadtmauer – den Stadtwall -, der im Besitz der Stadt blieb und für den per „Decret“ ein Eingriffsverbot bestand.

 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden den Besitzern der Kleinsthäuser die angrenzenden Flächen des Stadtwalls verkauft oder der Nutzung überlassen. Vereinzelt finden offenbar Aufschüttungen des Stadtwalles zur Erweiterung und besseren Nutzung sowie teilweisen Bebauung statt. Offenbar ist diese Entwicklung durch ein Verbot der straßenseitigen Dungentsorgung um 1870 befördert.

 

Der bauliche Bestand der Kleinsthäuser wurde in der Vergangenheit mehrfach überformt und teilweise durch Abbruch und Neubau ersetzt.

 

Den sehr begrenzten materiellen Verhältnissen der Eigentümer geschuldet, sind alle Gebäude sparsam und zum großen Teil unter Verwendung gebrauchter Baumaterialien – häufig auch von Stadtmauerziegeln – errichtet worden, was eine Datierung der Gebäude erschwert. Die meisten der heute vorhandenen eingeschossigen und mit Satteldach ausgeführten Gebäude sind spätestens im frühen 19. Jahrhundert errichtet worden.

 

Um 1900 wurden die Fassaden der Fachwerkhäuser durch massive Fassaden ersetzt. Vermutlich erst Mitte des 20. Jahrhunderts erhielten Gebäude einen Abwasseranschluss und die Toiletten wurden meist im Bereich der Eingangsflure abgeteilt.

 

Die Kleinsthäuser waren teilweise bis Anfang der 1990er Jahre als Wohngebäude in Nutzung. Der seit dieser Zeit bestehende Leerstand führte zu einer Bestandsgefährdung der Gebäude. In den Jahren 2014/2015 sind die Häuser Nr. 99, 101, 103 mit 770.000 Euro und in den Jahren 2017/18 die Gebäude 105, 107 und 109 grundhaft saniert worden und sind seitdem eingetragene Denkmale. Seit 2016 werden die sanierten Häuser durch ein örtliches Hotel an Gäste vermietet.

 

Die „Budenhäuser“ sind baulicher Ausdruck der sozial differenzierten Stadtgesellschaft der letzten Jahrhunderte und belegen, dass es in der Stadt einen nicht geringen Anteil Menschen gab, die zur „Stadtarmut“ zählten. Sie bieten einen Einblick in die Wohnbedingungen und -verhältnisse dieser Menschen.

 

Die „Budenhäuser“ wurden zur Auszeichnung als Denkmal des Monats ausgewählt, da es sich um eines der wenigen erhaltenen Ensembles dieser Art handelt, die für die brandenburgischen Kleinstädte früher typisch waren.

 

Text: Rainer Lehmann, ews Stadtsanierungsgesellschaft mbH